Artist Talk: Sonja Schumacher – Gesichter hinter Gesichtern

Sonja Schumacher in ihrem Atelier, Foto Credit: Raimar von Wienskowski

Liebe Sonja, ich grüße dich herzlich und bedanke mich, dass du dir die Zeit nimmst für dieses Interview.

Sonja: Liebe Manuela, durch deine Einladung zum Artist Talk habe ich seit längerer Zeit mal wieder tief in mich und meine Kunstwelt geschaut. Das war gut und kam genau zum richtigen Zeitpunkt, denn ich bin seit Corona in meinem Schaffensdrang doch um einiges gedämpft. Nun musste ich meine bequeme Scholle verlassen und mich fragen, was ist in mir, besser gesagt, ist da noch etwas das thematisch heraus möchte? Oder hat sich etwas in mir verändert und die Frage worum geht es mir heute? 

Doch fangen wir einfach mit deinen Fragen an und arbeiten uns ins Herz meiner Kunst vor.

Manuela: Wie kamst du zur Kunst?

Sonja: Ich habe immer gerne gezeichnet und gemalt. Das fing schon in der Grundschule an. In für mich schwierigen Fächern wie Mathe und später auch in Physik und Chemie habe ich meiner Seele Raum gegeben und meine Hefte mit Randzeichnungen verziert.

Doch es sollte noch viele Jahre dauern bis ich zu meiner Kunst finden konnte. Neben Beruf und Familie habe ich immer wieder Kurse besucht und besonders über das Aktzeichnen versuchte ich dem Menschsein näher zu kommen. Erst Anfang 2000 bin ich zur großflächigen Acrylmalerei gekommen. Auch hier ging es schnell um mein Hauptthema, den Menschen.

Kleine Gruppe von Sonja Schumacher

Es formte sich dabei beständig die dunkle Seite unseres Seins in den Vordergrund, so dass ich immer wieder gefragt wurde, warum ich dieses Thema bearbeite. Lange Zeit sprach ich von allgemeinem Interesse an diesem Feld. Doch über die Jahre der Auseinandersetzung mit diesem Thema habe ich auch klar erkannt, dass es mir im Innersten wichtig ist. Es kommt aus meiner tiefsten Seele und will gemalt und gesehen werden. Mich triggern Dinge in den Medien, der Presse oder auch aus meinem erlebten Umfeld und wollen bearbeitet werden. Dass ich dabei oft andere Personen schockiere ist mir wohl bekannt. Ich zeige die Seite von uns, die viele  nicht sehen möchten. Die Ungerechtigkeit, die Ohnmacht, den Zorn, die Verzweiflung, die Lethargie und vieles mehr.

Der Jedermann von Sonja Schumacher

Zu den Gesichtern und Köpfen: Je länger ich mit meinem Thema arbeitete, desto klarer wurde mir, dass mein Arbeitsfeld  hauptsächlich im Gesichts und Kopfbereich liegt. So wurden die Augen als „Fenster zur Seele“ zu meinem wichtigen Moment. Wir können unsere Seele in den Augen spiegeln. Das fasziniert mich.

Immer wieder zieht es mich malerisch hierher, und ich experimentiere hier auf einem riesigen Feld. Ebenso ist die Haut für mich von gleichgroßer Bedeutung. Denn über sie grenzen wir uns von der Außenwelt ab und beschützen unser Innerstes zugleich. Sie ist unser größtes sensibles Organ und gewährt dem Betrachter einen Eindruck vom gelebtem Leben und sagt viel über unseren körperlichen und seelischen Zustand aus.

Serie Puppies von Sonja Schumacher
Puppies

Zu den Skulpturen/Masken : Das dreidimensionale Gestalten hat mich ebenfalls seit der Schulzeit fasziniert. Auch hier waren es Körper und Köpfe die ich zuerst aus Ton gearbeitet habe. Später kamen Arbeiten in Bronze hinzu. Masken habe ich aus Ton und in Bronze erstellt. Masken sind auch in der Malerei ein immer wiederkehrendes Thema. Man kann sich wunderbar hinter ihnen verstecken und niemand sieht das wahre Gesicht. Dabei maskiere ich gerne auch gerade in der Malerei um auf diesem Weg die Persona dahinter zu zeigen.

Etwas abweichend von den Köpfen und Gesichtern habe ich das Thema Frau-sein, die Weiblichkeit und ihre Sexualität bearbeitet. Hierzu sind Bronzen entstanden.

Manuela: Was ist für dich wichtig in deiner Kunst?

Sonja: Egal ob eine Arbeit zwei oder dreidimensional ist, meine Arbeiten polarisieren und berühren. Dies tun sie über das Thema und meine Art der Präsentation.

Mir ist die Oberflächenbeschaffenheit, sowie die Haptik sehr wichtig. Es geht alles um die Wahrnehmung und das Einfühlen in das Thema. Über das sprichwörtliche „Begreifen“, Erfühlen und Behandeln hin zum Versuch etwas zu verstehen. Das ist meine immer wiederkehrende  Auseinandersetzung um das Verständnis vom Menschsein. Hier schaue ich in unsere psychosozialen Verbindungen innerhalb unserer Gesellschaft. Die Netzwerke die wir aufbauen und unser Verhalten untereinander. Ein besonderes Augenmerk liegt hierbei auf der Familie, als kleinste Einheit unserer Gesellschaft.

Familienportrait aus dem Jahr 2023 von Sonja Schumacher

Manuela: Wie arbeitest du?

Sonja: Oft fange ich mit dem Vorsatz an, das Atelier erst einmal aufzuräumen. Damit komme ich meistens nicht sehr weit, weil ich dann etwas sehe was mich zwingt den Pinsel oder anderes in die Hand zu nehmen und mit dem Gestalten zu beginnen.  Manchmal fange ich frei und abstrakt an und es ergibt sich mit der Zeit ein Weg, dem ich folge bis ich über verwerfen oder hinzufügen irgendwann zu einem Punkt komme an dem das Bild mir sagt… fertig!  Es gibt aber auch die Situation, dass mich ein Foto oder ähnliches so anspricht, dass ich es als Vorlage benutze, mich meistens bald von dieser löse und es entsteht eine eigene Welt.  Ich arbeite nach Gefühl und Möglichkeit, ohne feste Zeiten.

Manuela: Wer sind deine Vorbilder und was dient dir als Inspiration und Erkenntnisgewinn?

Sonja: Käthe Kollwitz, Egon Schiele, Francis Bacon, Friedrich Einhoff (der Jüngere), Marlene Dumas, Anselm Kiefer uvm. Hier kann ich immer wieder auftanken. Es ist für mich sehr wichtig, immer aufs Neue Kunst und Künstler zu entdecken. Neu zu sehen und zu denken, sich selbst zu hinterfragen, ob der Weg so noch richtig ist und wenn möglich zu korrigieren.

Manuela: Was war deine schönste Reaktion auf deine Kunst?

„Bilder oft verstörend, zeigen

Gesichter hinter Gesichtern,

hinterlassen Fragen,

ein seltsames Gefühl von Beschämtheit,

wie entdeckt worden sein in scheuer Nacktheit,

uralte Masken,

Wesen aus tiefer Ehrlichkeit,

fast verboten,

fast erschreckend,

lang verlassene, nicht gewollte Wahrheiten,

heimgeholte Kinder.

Sie schauen mich an und wollen da sein, dazu gehören, in die Ganzheit eingefügt werden, um vollständig zu sein.“

Diese Zeilen haben mich tief bewegt. Amrit Dörte Bläse, Hebamme und Schriftstellerin, schrieb sie mir, nachdem sie meine Bilder das erste Mal auf Instagram gesehen hatte.

Manuela: Was ist Kunst für dich in drei Worten?

Viel Arbeit, große innere Erfüllung, aber auch Enttäuschung


Liebe Sonja, vielen Dank für den Austausch.

Hier noch ein Video, das in 3 Minuten einen sehr guten Eindruck zu Sonja’s Kunst offenbart:


Weitere Informationen zur Künstlerin: Sonja Schumacher (sonja-schumacher.de)

Instagram: Sonja Schumacher (@sonja.schumacher.art) • Instagram-Fotos und -Videos

Foto der Künstlerin von: About — Raimar von Wienskowski (rvw-business.photography)

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