Die österreichische Künstlerin Sonja Raab ist verheiratet, hat 3 Kinder und lebt mit ihrem Mann und jüngstem Sohn in ihrem Geburtsort Opponitz. Sie nennt sich selbst Schamanin, Haijin, Steinschleiferin, Autorin und Kolumnistin. Sie ist bunt, sie ist vielfältig.
Ich kenne sie schon seit Jahren und habe ihren Werdegang als Künstlerin so ein wenig über Facebook mitverfolgt und möchte hier und heute ein wenig über sie berichten. Sie nennt ihr Unternehmen Goldspinnerei und es finden sich Tierschädel unter ihren Arbeiten, die sie verziert und ihnen ein neues anderes Leben einhaucht.
Sie war so nett mir ein paar Fragen zu beantworten und mir die Fotos hier zur Verfügung zu stellen.
Wie kamst Du zur Kunst? Gab es ein besonderes Ereignis, das den Ausschlag dafür gegeben hat, um die künstlerische Laufbahn einzuschlagen?
„Genau genommen hat die Kreativität schon in meiner Kindheit viel Raum eingenommen. Auch vererbt, schätze ich mal. Meine Mutter hat Gedichte geschrieben, Fadenbilder gespannt, wollte immer in einer Band singen, was ihr die Eltern aber nicht erlaubt haben. Ich hab immer viel gelesen und geschrieben, liebte Stifte und Papier. Mit 10 Jahren hab ich einen Zeichenwettbewerb gewonnen und einen Bausatz für einen Dinosaurier gewonnen, das war cool. In der Klosterschule in der ich war lernte ich dann Holzbrennen, Bauernmalerei, Glasbrennen, Nähen, wir machten mit selbstgenähten Klamotten eine Modenschau. Als ich erwachsen war hab ich dann von Seidenmalerei über Linolschnitt, Acrylmalerei, bis hin zum Socken stricken und Schultertuch häkeln so ziemlich alles durchprobiert, fühlte mich aber nie angekommen.“
Hast Du künstlerische Vorbilder?
„Mein allergrößtes Vorbild war immer Friedensreich Hundertwasser. Nicht nur seine Kunst sondern vor allem sein Denken. Er hat die gerade Linie befreit und als Gotteslästerung bezeichnet. Er hat Natur in die Kunst gewebt und Kunst in die Natur. Er hat Spiralen gemalt und alle Grenzen gesprengt. Das fand ich immer beeindruckend. Seine Ansichten zum Fensterrecht sind zu seiner Zeit gigantisch gewesen! Jeder Besitzer einer Wohnung sollte so lange er mit einem Pinsel reichen kann aussen an der Fassade rund um seine Fenster malen dürfen, damit man von aussen schon sieht, welches Individuum drinnen lebt. Das ist doch eine wunderbare Vorstellung und wie bunt wäre die architektonische Welt heute, wenn sich das durchgesetzt hätte.“
Wieviel Zeit widmest Du der Kunst in Deinem Leben?
„In meinem Leben war und ist einfach alles von Früh bis Spät vollgestopft mit Kreativität. Ich kann gar nicht anders. Wenn ich spazieren gehe, dann nehme ich den Fotoapparat mit und fotografiere und denke mir während ich gehe Gedichte aus oder überlege, wie ich es schreiben könnte. Wenn ich Farben sehe, denke ich ans Malen. Wenn ich zum Friedhof gehe und an die verstorbene Oma denke, dann sehe ich uns vor dem geistigen Auge, wie wir Socken stricken und gemeinsam Kochen und das ist ja alles Kreativität. Egal was man tut, alles ist Kunst. Die Muse hat mich sehr lange Zeit echt geküsst, es gab auch Phasen wo ich aus Leder, Knochen und Federn Indianerschmuck hergestellt habe, vom Talkingstick bis zum Traumfänger, vom Lederköcher bis zur Tasche, vom Hirschlederhemd mit Fransen, Perlenstickereien oder Federfächern war da alles dabei. Ich habe dutzende Ausstellungen gemacht. Und dann wollte ich bei einem in unserer Gegend sehr bekannten Galeristen in Linz ausstellen, der hatte solche Größen wie Attersee oder Nitsch im Programm und er war oft bei meinen Ausstellungen und schrieb immer was in ein Notizheft, sagte aber nix. Und irgendwann stapfte ich einfach bei ihm zu Hause rein und fragte, ob er mich in seine Galerie nimmt. Und der schaute sich dann meine Mappe an und sagte, dass mir der rote Faden fehlt. Da war ich ordentlich angefressen (beleidigt) und dachte der spinnt. Ich hab ja echt ALLES gemacht. DAS war mein Stil. Das hat mich erst auf den Boden geholt und mir klar gemacht, dass ich MEINEN Weg noch gar nicht gefunden hatte. Ich verstreute meine Energie in alle Richtungen, aber keines meiner Werke schaute man an und sagte: „Ah, das ist ein Raab“. Tja. Und dann kamen Kinder, Scheidung, Umzug, Hauskauf, Heirat, ein weiteres Kind, dann war sowieso erstmal alles durcheinander. Ich machte zwar immer wieder Ausstellungen, aber es war halt ein Durcheinander an Bildern, Traumfängern, Kursen, Schulen, usw…“
Wie bist Du ausgerechnet dazu gekommen, Tierschädel und Heiligenbilder/ Statuetten usw. zu vergolden und diese so zu verarbeiten, wie Du es tust?
„Nach einer für mich wichtigen Operation war meine Kraft wieder zurück und ich fühlte mich so erleichtert und befreit, ich wollte nur noch raus und IRGENDWAS LERNEN. Zufällig kam dann eine Werbung ins Haus geflattert: Im Stift Seitenstetten wurde ein Kurs für Klosterarbeiten angeboten. Ich hätte zu dem Zeitpunkt ALLES genommen, ich war so ausgehungert nach Neuem, das kann sich keiner vorstellen. Also bin ich da hingefahren und habe an zwei Wochenenden gelernt, wie man eine Klosterarbeit herstellt. Das sind diese typischen Heiligenbildchen mit Drahtschmuck in kleinen Kästchen mit Rahmen und Glas. Die Frauen dort waren alle zwischen 50 und 70 und es gab strenge Vorschriften, welche Farben man verwenden durfte, alle Drähte mussten auf den Millimeter genau geschnitten werden, das Material war schweineteuer. Als ich nach Hause fuhr, überlegte ich schon, wie man das anders machen könnte und ich hab sofort Ideen gehabt, was man mit Klosterarbeiten NOCH machen könnte- abgesehen von den traditionellen Heiligenbildern. Wenige Tage später habe ich meinen ersten Widderschädel vergoldet und die Hörner mit Klosterarbeiten verziert. Das war mein erstes Stück. Und es war total verrückt, denn ich brauchte Material im Wert von mehreren hundert Euro- und wer kauft schon einen vergoldeten Widderschädel mit Klosterarbeiten? Naja, ich hab ihn wenige Wochen später nach Wien verkauft. Die Kundin holte ihn sich sogar selbst im Ybbstal ab. Ich habe mich am Anfang von einem Bild oder von einem Schädel zum nächsten gehangelt, denn ich konnte mir das Material kaum leisten, ich musste immer zuerst eine Arbeit verkaufen, damit ich eine neue machen konnte. Das Material (Gold- und Silberdrähte, Messingdrähte, Cardonette- Drähte, Wachsperlen, Stiftperlen, Glasstürze, vergoldete Rahmen, usw… ) bekommt man außerdem bei uns in Österreich kaum. Eine Bekannte, die ich im Kurs kennen gelernt hatte, fährt deshalb immer nach Passau in Deutschland und holt die Materialien nach Österreich. Bei ihr kaufte ich dann ein. Und eines Tages hatte ich einfach Glück, es war wieder einer dieser „Zufälle“- eine alte Frau in der Nähe von Wien hatte ihr ganzes Leben lang Klosterarbeiten gemacht, die hatte Material für mehrere Leben zu Hause. Als sie verstarb, verscherbelte ihr Sohn sechs große Umzugskisten Bastelmaterial auf einem Internetflohmarkt. Als ich mir die Bilder genauer anschaute, sah ich, dass da Hunderte Schachteln mit Gold- und Silberdraht dabei waren. Als ich meinem Mann davon erzählte, ist er mit mir dort hingefahren und wir haben die sechs Kisten ohne reinzuschauen gekauft zum Spottpreis. Zu Hause haben wir dann aussortiert. Es folgten nach dem Widder jedenfalls Füchse, Marder, Vogelschädel, Dachse, und dazwischen aber auch immer wieder Heiligenbilder, die sind halt bekannter und verkaufen sich in unserer erzkatholischen Gegend besser. Eine Madonna im Glassturz habe ich schon etwa neun Mal verkauft, dabei mache ich diese Arbeit erst seit eineinhalb Jahren! An einem Werkstück arbeite ich oft ein Monat lang, alleine die Blütenranken für eine einzige Madonna im Glassturz brauchen etwa 40-50 Stunden und dann muss ja bei den Klosterarbeiten noch viel rundherum gemacht werden. Kistchen mit Stoff verkleiden, Kartons mit Samt beziehen, die Drahtarbeiten festnähen, Borten nähen, es wird ja alles mit der Hand gemacht und nichts geklebt, sondern alles angenäht. Holzkistchen bauen, verglasen, Rahmen verschließen, hinten mit schönem Lilienpapier verkleiden, eine Madonna festschrauben, Löcher bohren, mit Pinzetten die Blüten zurechtzupfen und Schildchen aus Goldfolie machen. “
Entstehen Deine Werke spontan oder wie gehst Du an Deine Werke heran?
„Es gibt verschiedene Möglichkeiten. Entweder ein Kunde tritt mit einer Idee an mich heran, die wir dann besprechen und ich mache das dann nach seinen Vorgaben. Oder der Kunde lässt mir freie Hand und ich darf mich kreativ austoben, habe vielleicht nur eine farbliche Vorgabe und sonst darf ich machen wie ich will. Das sind mir natürlich die Liebsten und bei dieser Gelegenheit entstand einmal ein Ahnenschrein mit den Fotos der verstorbenen Familienmitglieder einer Kundin, die Blüten wurden dann mit dem Perlschmuck ihrer verstorbenen Mutter gemacht, das war am Ende so groß wie ein Fernseher, preislich hatte ich eine Obergrenze und ich war monatelang damit beschäftigt, das hat irre Spaß gemacht. Und dann gibt es halt noch die „normalen“ Klosterarbeiten. Ein Heiligenbildchen, rundeherum etwas Schmuck, ein Kistchen, Rahmen, Glas und fertig. Aber das ist langweilig für mich. Die mach ich halt so nebenbei, weil die sich gut verkaufen lassen als Hochzeitsgeschenke, zum Geburtstag oder zur Erstkommunion.“
Was war Deine schönste Reaktion auf Deine Kunst, die Du bekommen hast?
„Einer meiner schönsten Aufträge war, als mir eine frisch gebackene Braut heimlich einen Vogelschädel schickte, den sie in den Flitterwochen mit ihrem Mann an einem Strand in Schottland gefunden haben. Ich sollte ihn vergolden und schmücken und sie schenkte ihn dann ihrem Mann zum Geburtstag. Der hat sich riesig gefreut. Sowas macht mir am meisten Spaß.“
Wo siehst Du Dich selbst künstlerisch in 10 Jahren?
„Na im Guggenheim Museum in New York natürlich! 😀 Ohne Witz, ich will richtig berühmt werden damit. Sowas gibt’s noch nicht. Ich kenne niemanden der sowas macht und auch die Rückmeldungen der Leute die meine Tage des offenen Ateliers besuchen oder wenn ich Interviews habe laufen immer wieder darauf raus, dass die Leute sagen: „Wahnsinn, sowas hab ich noch nie gesehen!“ Das freut mich dann ganz besonders und ich weiß, dass ich das Zeug dazu hätte, raus zu kommen aus meinem engen Tal und in die weite Welt zu gehen mit meiner Kunst. Davon träum ich jetzt und ich lass es auf mich zukommen. So Gott will, werde ich es schaffen. Ich hab Zeit. Und ich bin bereit.“
Hast Du ein Anliegen das Du mit Deiner Kunst verfolgst?
„Ja! Ich möchte das Heidentum und das Christentum vereinen. Ich möchte, dass die Tierschädel und die Heiligen nebeneinander liegen können und sich aussöhnen. Das Wilde, Archaische und das Christlich- Heilige in Einem. Für mich ist alles heilig. Ich bin Schamanin. Da zählt ein Blatt so viel wie ein Stein oder ein Berg, ein Stern, ein Widderschädel oder eine Ikone in der Kirche. Alles ist heilig, weil es im Universum nichts gibt, das nicht heilig wäre. Alles ist aus dem selben Sternenstaub entstanden, alles ist geschaffen und hat sich entwickelt und wird vergehen. Nicht nur die Heiligen sind heilig. Jedes Tier hat seine Kraft, jeder Ahne hat seinen Platz, jeder Verstorbene hat etwas weitergegeben im Leben, das heute noch lebt und wirkt. Wir stapfen in den Fußspuren unserer Vorfahren. Und die Schädel drücken das aus. Sie erzählen vom Leben und vom Tod, vom Werden und Vergehen. Das Blattgold das ich zum Vergolden verwende ehrt das Tier, die Kraft des Tieres. Ich gebe ihm seine Würde zurück. Ich hole diesen Schädel von irgend einem Dachboden, er kommt verstaubt und dreckig zu mir. Ich räuchere ihn reinige ihn, ich rede sogar mit den Schädeln, mit dem Tier. Dann wird es vergoldet und geschmückt wie für eine Hochzeit. Die Hochzeit zwischen Leben und Tod.
Schamanismus ist der Gedanke, dass alles belebt und beseelt ist. Und Klosterarbeiten sind die Idee, alles, was einem heilig ist, was man als göttlich empfindet, zu schmücken. Die Krönung aller heiligen Dinge sozusagen.“
Vielen herzlichen Dank, liebe Manuela, dass ich meine GoldSpinnereien und mich hier zeigen darf! Liebe Grüße aus dem Ybbstal und auch Dir mit Deiner Kunst viel Erfolg, wünsch ich von Herzen!
Alles Liebe, Sonja