Artist Talk: Matthias Jung – Die Welt aus Collage

Willkommen lieber Matthias ich freue mich, dass du an meinem Artist Talk teilnimmst. Ich freue mich, dass ich „dich“ und deine Kunst entdecken durfte und nun möchten die Leser:innen und ich gerne mehr über dein Schaffensspektrum erfahren.

Manuela: Kannst du dich bitte vorstellen? Erzähle doch ein bisschen wie du zur Kunst, zur Illustration und zur Collage gekommen bist. Gab es z.B. ein besonderes Ereignis, das den Ausschlag dafür gegeben hat, um die künstlerische Laufbahn neben dem Beruf des Grafikers einzuschlagen?

Matthias: Ja, gerne. Ich freue mich übrigens über dein Projekt, da ist viel Wertschätzung und Offenheit drin. Wir sind uns ja sehr zufällig begegnet. Ich hatte mich bei dir bedankt für eine Warnung, die du im Internet vor Betrügern auf dem Kunstmarkt ausgesprochen hattest. Ich mag Zufälle. Manche Zufälle fühlen sich an als würden Fäden eines ansonsten unsichtbaren Gewebes plötzlich aufleuchten. Ein Gewebe aus Bedeutung.

Zurück zu deiner Frage: ich wohne mit meinem fast zehnjährigen Sohn in einem Dorf im Osten von Stuttgart. Ich mag es hier. In meinem Leben habe ich immer an irgendwelchen kreativen Projekten gearbeitet. Malerei, Texte, digitale Collagen und seit mehr als vier Jahren schreibe ich Lieder.

Mit Collagen habe ich erstmals im Alter von 16 gearbeitet. Mein Vater hatte ein Fotolabor im Keller. Im roten Dämmerlicht entwickelte ich dort meine Fotos in Chemiebädern mit aufregenden Gerüchen. Dann habe ich die Fotos im Copyshop vervielfältigt und zu ersten Architekturcollagen zusammengeklebt. Ich empfand meine Kunst als absolut bedeutsam und war sehr verwundert, dass ich in Galerien dafür nur ein sehr freundliches Lächeln erhalten habe. Etwa 2 Jahrzehnte ruhte die Arbeit nach dieser kurzen stürmischen Anfangsphase. Dann eröffnete mir die digitale Bildbearbeitung neue Möglichkeiten. Die Arbeit an Collagen hat mich immer fasziniert. Ich schaffe eine Realität, die das Innere mit dem Äußeren verbindet. Die Logik der Entstehung einer Collage ist eher wie im Traum. Eine Matrix aus Assoziationen. Ich liebe das.

Anorganische Evolution | 2020 | Matthias Jung

Manuela: Wie war dein Einstieg in die Branche und was war dein erster Job? Erinnerst du dich noch?

Matthias: Ich habe das nicht als Einstieg in eine Branche erlebt. Die ersten Jahre habe ich einfach
nur an immer neuen Collagen gearbeitet. Ich war getrieben, ich musste das machen. Erst 2015 kam es zu einem kleinen Durchbruch. Irgendwie verbreiteten sich meine Architekturcollagen plötzlich rasend im Netz. Zeitungen wie der Guardian oder auch die Vogue baten mich um Interviews. Ich war darauf nicht vorbereitet. Der Hype verpuffte sehr schnell und ich habe finanziell nur minimal davon profitiert. Aber es hat mir die Gewissheit gegeben, dass meine Bilder tatsächlich wirken. Manchmal habe ich kleine Illustrationsjobs, verkaufe hier und da ein Bild, zum Beispiel als Buchcover. Ich war oft frustriert.

Institut zur Berechnung der Lebensleistung | 2025 | Matthias Jung

Manuela: Was ist deine eigene Kunst für dich?

Matthias: Puh. Es ist eine Form von Magie. Kunst bringt mich in Verbindung mit einem Teil meiner selbst, der das „allgemein Menschliche“ ist oder das „allgemein Lebendige. Auf jeden Fall ist es der Zugang zu einer tiefen Welt ohne Worte. Aber wer will, kann meine Bilder auch als bloße ästhetische Spielerei sehen – was sie aber nicht sind.  

Manuela: Wie und wann hast du dein künstlerisches Handwerk gelernt?

Matthias: Learning by doing. Meine ersten Collagen waren eher skurril als wirklich interessant. Aber zum Glück war mir das nicht bewusst. Kunst zu studieren wäre für mich nie infrage gekommen. Ich kann nur den radikal eigenen Weg gehen. Leider verschließt das viele Türen. Insbesondere die von Galerien.

Manuela: Du hast ja viele Talente und Fähigkeiten. Du bist Fotograf und Grafiker. Hast du hier den ganz klassischen Weg eingeschlagen in deiner Entwicklung und Ausübung dieser beiden Berufe?

Matthias: Wohl eher nicht. Ursprünglich hatte ich vor, in der Entwicklungshilfe zu arbeiten. Aus verschiedenen Gründen habe ich dann im Laufe des Studiums meinen Platz in diesem Bereich nicht mehr gesehen. Also kam ich auf die Idee, etwas „Vernünftiges“ zu machen und habe BWL studiert und habe es tatsächlich zum Diplomkaufmann geschafft. Aber das war es dann mit der Vernunft. Ich hatte ein Jobangebot bei American Express. Als ich das Gebäude betrat und durch die Bürolandschaft schritt, war mir klar, dass ich dort erfrieren würde. Zum Entsetzten meiner damaligen Frau habe ich abgelehnt. Ich habe dann einige Jahre irgendwelche Jobs gemacht, habe 2 Jahre für den Otto-Versand im telefonischen Kundendienst gearbeitet. Erst 2009 fing ich mit dem Grafik-Design Studium an. Das war eine gute Idee. Seit meinem Abschluss arbeite ich als freiberuflicher Grafiker. Fotograf bin ich aber nicht. Ich fotografiere nur die Einzelbilder für meine Collagen. Da muss man nicht viel können.

Meine Stadt reist heute ans Meer | 2024 | Matthias Jung

Manuela: Deine Collagen sind besonders ansprechend, weil sie einladen vieles in ihnen zu entdecken. Wie entstehen deine Ideen für diese? Spontan, intuitiv, geplant? Berichte doch gerne./ Wie arbeitest Du? Kannst Du uns etwas über den Entstehungsprozess deiner Arbeit erzählen?/ Was inspiriert dich, bzw. wie bilden sich deine Ideen für Werke aus?/ Wie entstehen deine Werke, wie gehst du an deine Kunst heran und mit welchen Materialien arbeitest du am liebsten?

Matthias: Die Ideen kommen oft beim Fotografieren. Gerade bei Gebäuden habe ich regelmäßig  Visionen von einer Anordnung, einer abstrakten Form, einer Formensprache. Ich mag Häuser, denen man ihre Geschichte ansieht. Ich sehe in ihnen eine Art Persönlichkeit. Die Gebäude oder auch Gegenstände, die mich begeistern, sind für Andere oft eher unscheinbar und uninteressant.
Ich habe ein Archiv aus eigenen Bildern, die ich auf kleinen Fotoreisen aufgenommen habe. Wenn ich an einem Bild arbeite, durchforste ich dieses Archiv wieder und wieder. Was passt zusammen? Passt das rostige Rohr zu dem fliegenden Palast? Bis zu einem bestimmten Punkt wirken meine Collagen zufällig und wahrscheinlich eher uninspiriert. Erst wenn ich dann ein entscheidendes Bildelement gestaltet habe, kommt der Durchbruch. Dann scheint seine endgültige Form durch, und ich habe eine starke Vision, wohin das Bild will. Und dann gestaltet es sich meist wie von selbst. Diese letzte Phase ist sehr schön, ich höre oft laute Musik, wenn ich mit Photoshop die einzelnen Elemente zu einem Gesamtgebilde verbinde. Heraus kommt so etwas wie ein Kurzgedicht aus Formen. Der Inhalt mancher Arbeiten mag zu Geschichten anregen. Ich fände das sehr schön. Der Titel des Bildes ist meist ein Vorschlag zur erzählerischen Ausgestaltung. Aber festgelegte Inhalte oder Botschaften gibt es nicht. Ich bin übrigens – anders als sonst im Leben – in der Kunst eher perfektionistisch.

Bild links: Das Märchen von der wundersamen Hand | 2019 | Matthias Jung

Bild rechts: Betonpredigt | 2024 | Matthias Jung

Manuela: Auf welchen Themenbereich hast du dich spezialisiert? Wie würdest du deinen Stil beschreiben?

Matthias: Mein Stil ist keine bewusste Entscheidung, ich mache meine Kunst nicht in dem Bewusstsein, einen Markt zu bearbeiten. Ich würde auch nie auf die Idee kommen, mich irgendeinem „Ismus“ anzunähern oder „zeitgenössisch“ zu sein. „Formpoesie“ wäre ein schönes Wort für meinen Stil. Manche „Kunstexperten“ nehmen einen poetischen Ansatz oft nicht ernst. Sie vermuten dahinter vielleicht eine Flucht ins Gemütliche oder so. Davon distanziere ich mich. Schönheit kann sehr existentiell sein. Aber nicht alle meine Bilder sind klassisch schön, manche sind sehr düster und einsam.

Manuela: Erfährt man durch Kunst mehr von seinem Leben?

Matthias: Das ist eine gute Frage. Ich kann das nur für mich beantworten. Wenn ich an einem Bild arbeite, dann fühlt sich das sinnvoll an. Ich bin hoch konzentriert und doch weit weg an einem friedlichen inneren Ort. Ich schöpfe aus einem Bereich, in dem es keine Worte gibt. Das ist intim, gleichzeitig nah am allgemein Menschlichen. Ich fühle mich dann mit mir selbst im Reinen. Ich kann etwas schöpfen ohne mich auf einer sozialen Bühne darstellen zu müssen. Ich glaube, das ist für mich sehr tröstlich, denn soziale Bühnen strengen mich an. Ich scheitere oft an ihnen.

Auch Ausgestorbene haben gute Tage | 2020 | Matthias Jung

Manuela: Was hat deine Kreativität im Laufe der Jahre bereichert? Bist du im Laufe der Jahre besser geworden? Wie siehst du dein weiteres künstlerisches Schaffen, wohin geht die Reise?

Matthias: Es braucht einfach einige Jahre, um der künstlerischen Intuition durch Erfahrung Futter zu geben. Klar bin ich besser geworden. Aber ich glaube, die Fähigkeiten erreichen irgendwann ein Plateau. Dann kann ich natürlich wieder Neuland erschließen. Ich schreibe ja auch Lieder. Da bin ich im Moment noch in einer früheren Phase. Es ist aufregend zu sehen, dass ich plötzlich neue Dinge kann, dass sich mein Blick geschärft hat. Die Saat geht auf. Aber im Unterschied zum echten Bauern, weiß ich nicht, welche Früchte ich am Ende ernte. Das ist cool, aber man muss auf jeden Fall dranbleiben. Selbstüberschätzung kann dabei eine hilfreiche Illusion sein. Am Ende ist man vielleicht wirklich so gut wie man dachte, von Anfang an zu sein.  

Manuela: Gibt es Techniken oder Materialien, mit denen du gerne experimentieren wollen würdest?

Matthias: Ja, ich würde gerne Malerei mit Collagen verbinden. Ich könnte meine Bilder in schwarzweiß auf Aquarellpapier ausdrucken und sie dann colorieren und mit gemalten Formen kombinieren.  Das ist allerdings ein Aufwand, den ich bisher scheue.

Manuela: Wieviel Raum und Zeit nimmt Kunst in deinem Leben ein?

Matthias: Sehr viel Raum. Im Moment ist es allerdings die Musik. Ich muss mich ständig vor mir selbst für die wertvollen Stunden rechtfertigen, in denen ich ja auch Geld verdienen könnte. Collagen würde ich sehr gerne wieder machen, es mangelt auch nicht an Ideen. Die Zeit wird kommen. Meist mache ich mehrere Bilder direkt hintereinander.

Manuela: Was macht dir bei deiner Arbeit am meisten Spaß?

Matthias: Ganz bei mir zu sein, der Schönheit zu dienen, etwas Neues zu schöpfen, in Bildern zu schwelgen, unter Strom zu stehen.

Lucid geometric journey | 2021 | Matthias Jung

Manuela: Was war Deine schönste Reaktion auf Deine Kunst, die Du bekommen hast?

Matthias: Wenn mir Kunden sagen, dass sie ein Bild emotional berührt. Wenn es sie zum Beispiel an die Fantasien ihrer Kindheit erinnern. Die französische Künstlerin AM Higgins hat ihr neues Album mit meiner Kunst bebildert. Auf ihrer Tour durch Deutschland kam sie auf dem Weg von Leipzig nach Zürich mit Ihrem Freund zum Kaffeetrinken vorbei. Das hat mich berührt.  

Der Handel mit Antimaterie und seine Folgen | 2019 | Matthias Jung

Manuela: Welche Ausstellungen und künstlerische Projekte haben dich in deinem Werdegang besonders geprägt?

Matthias: Künstlerische Vorbilder habe ich eigentlich nicht. Mit Ausnahme von Paul Klee vielleicht. Ausstellungen inspirieren mich aber tatsächlich regelmäßig. Es ist wichtig zu sehen, wie andere Menschen sich durch Kunst ausdrücken – das erweitert die eigenen Möglichkeiten. Davon abgesehen ist es einfach ein Genuss.

Herbst Mama Fisch | 2025 | Matthias Jung

Manuela: Eine Frage, die Dich gerade bewegt

Matthias: Oh, sehr viele Fragen. Offen gesagt, haben die wenigsten davon mit Kunst im engeren Sinne zu tun. Was mich gerade umtreibt, ist die Frage, was Menschen im Innersten dazu bewegt, links oder rechts zu denken. Beides scheint archaische Anziehungskräfte auf uns zu haben. Und grundsätzlich: welche Aufgabe hat Kultur? Wie kann sie sich ändern? Warum scheint sie uns gerade zu bremsen, wenn es darum geht, die Lebensgrundlagen auf unserem Planeten zu schützen oder uns gegenseitig für unser Menschsein wertzuschätzen?

Manuela: Was hat dich zuletzt inspiriert?

Matthias: Ich war gerade im Nationalpark Hainich. Da verwildert ein ehemaliger Truppenübungsplatz seit Jahrzehnten vor sich hin. Eine Landschaft zu sehen, die nicht zum Betriebsgelände der Menschheits-AG gehört, das ist eine Wohltat für meine Augen. Überhaupt ist es schön, auf kleinen Pfaden durch den Wald zu gehen. Ich würde gerne mal wieder eine lange Wanderung unternehmen. Am liebsten mit meiner kleinen Klappgitarre und Fotoapparat. Irgendwo Richtung Meer. Und wenn ich zurück bin mache ich aus den vielen Bildern neue Collagen.

Manuela: Was ist Kunst für dich? In 3 Worten!

Matthias: Magie, Seele, Wahrheit

Manuela: Woran arbeitest du im Augenblick?

Matthias: Gerade gestalte ich zum Beispiel ein CD-Booklet für eine Ensemble alter Musik. Außerdem bereite ich einen regelmäßigen Instagram-Auftritt vor. Ich will raus aus meiner Nische, in die mich unter anderem meine Introvertiertheit geführt hat. Und ich nehme eigene Lieder als Videos auf. Es wäre toll, Bilder und Musik miteinander auf der Bühne zu verbinden.

Klopfgeräusche aus dem Erdkern | 2019 | Matthias Jung

Manuela: Von welchem Projekt träumst du?

Matthias: Ich möchte meine Kunst erlebbar machen. In Zeiten perfekter KI-Bilder gehen meine Collagen einfach unter. Ich möchte sie mit Leben, mit Persönlichkeit füllen. Kunst bedeutet ja nicht mit einem Feuerwerk visueller Reize zu beeindrucken. Das kann KI wirklich besser. Kunst ist etwas Nahrhaftes, kein Snickers. Irgendwann möchte ich, wie schon erwähnt. In einem Bühnenprogramm Musik und Kunst gemeinsam erlebbar machen. Eingebettet in sehr grundlegende Gedanken über unsere Welt. Dazu muss ich mir tatsächlich etwas in den Arsch treten. Denn ich träume sehr gerne einfach vor mich hin.

Manuela: Deine nächsten Projekte, Ausstellungen. Wo kann man dich in diesem Jahr noch sehen?

Matthias: Tatsächlich im Moment nur online. Aber das soll so nicht bleiben. Ich freue mich sehr über Feedback, Tipps und nette Worte. Begegnungen sind wichtig. Folgt mir auf Insta.

Manuela: Wo kann man dich online finden?

Matthias: Instagram: zabadu_matthias, www.zabadu.de. Künstlerseite auf www.artmajeur.com www.artmo.com und www.singulart.com


Lieber Matthias, vielen Dank für deine Zeit und die Auseinandersetzung mit deiner Arbeit. Dir weiterhin viel Erfolg und alles Gute für dein Schaffen!

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