Artist Talk: Ralph Bühr – Poesie in gezeichneten Welten

Willkommen lieber Ralph, ich freue mich, dass du an meinem Artist Talk teilnimmst. Wir kennen uns ja trotz der geografischen Nähe eigentlich „nur“ über Instagram. Nun endlich habe ich die Gelegenheit dir einige Fragen zu deiner Kunst zu stellen.

Manuela: Kannst du dich bitte vorstellen?  Da du keine Website hast, erfährt man über dich als Künstler leider nicht viel. Erzähle doch ein wenig, wie du zur Kunst gekommen bist. Gab es z.B. ein besonderes Ereignis, das den Ausschlag dafür gegeben hat, um die künstlerische Laufbahn neben dem Beruf einzuschlagen?

Ralph: Ich bin 1967 geboren, lebe im „Hekenhaus“ in Seevetal, bin verheiratet und habe sechs Töchter. Wir leben in einem ländlichen Umfeld, betreiben Gartenbau und imkern. Nach einem Studium in Erziehungswissenschaft, Psychologie und Soziologie war ich – neben meinem zeichnerischen Schaffen und dem musikalischen Spiel in einer Irish Folk Band vor allem Hausmann und Vater. Wie alle Kinder habe ich von früh an gezeichnet – nur eben nicht wie die allermeisten irgendwann wieder aufgehört. Als Schüler war ich von Comics begeistert und inspiriert. Vor allem Hergés „Tim und Struppi“-Alben hatten es mir angetan. Ich habe zahllose unvollendete Bildergeschichten (meist kaum mehr als eine Seite) produziert und gleich wieder verworfen. Bis heute habe ich eine Vorliebe für eine Art „erzählende Bildsprache“ die möglicherweise darauf zurückzuführen ist. Hinzu kamen dann gelegentliche Illustrationsaufträge, angefangen mit der Schülerzeitung bis zu allerlei Plakaten und Ähnlichem. Der Kunstleistungskurs war daraufhin obligatorisch und hat mir dann auch maßgeblich das Abitur gerettet. Ich hätte dann auch gerne Kunst studiert aber habe schnell gemerkt, dass ich mit meiner „tradierten“ Zeichnerei nicht gerade den Erwartungen der auf „Originalität“ fixierten akademischen Zunft entsprach. Insbesondere meine stilistische Nähe zu Horst Janssen wird mir – ermüdenderweise – bis heute immer wieder gerne um die Ohren gehauen.

Manuela: Wie ordnest du deine Kunst ein? Gibt es einen Zeitbezug? Wie steht deine Arbeit im Kontext zur heutigen Malerei? Was ist deine eigene Kunst für dich?

Ralph: Zunächst sehe ich mich nicht so sehr als Künstler, sondern vorrangig als Zeichner. Ich arbeite sehr gerne auf antiken Papieren und habe größten Respekt vor den alten Meistern der Zunft. Das gibt schon mal eine Richtung vor. Ich zeichne vorwiegend „ab“. Der wesentliche zeichnerische Inhalt ist dementsprechend naturalistisch. Die Zeichnung ist mir per se schon Abstraktion genug. Ich habe einen gewissen Hang zur Nostalgie, sowohl was mein Lebensumfeld angeht, als auch in Bezug auf die Auswahl meiner Zeichenmaterialien und -sujets. Die Epochen und Strömungen die beim Kunsthallenbesuch meine wesentliche Aufmerksamkeit genießen sind um 1920 meist schon zu Ende.

Manuela: Deine Zeichnungen beispielsweise, die du mit Graphit, Bleistift usw. von Menschen, Tieren usw. fertigst, entstehen diese frei im Kopf oder benutzt du fotografische Vorlagen für die Realisierung?

Ralph: Ich zeichne vom „Gesehenen“ und da bin ich nicht dogmatisch. Es kann das Objekt vor mir auf dem Schreibtisch oder auch eine Fotografie oder eine Vorzeichnung oder ähnliches sein. Nur bei den Landschaften zeichne ich vieles aus dem Kopf. Insbesondere bei der Arbeit mit Tusche und Aquarell entsteht dann viel spontan auf dem Papier.

Marschlandgewitter | 2020 | Ralph Bühr

Manuela: In deiner Kunst sieht man einen figurativen Bezug ebenso wie einen die Natur auf seine vielfältige Art darzustellen; sei es in Stilleben mit Gemüse/ Obst, Pflanzen oder auch Tiere, es erscheint, du findest ein Stück weit auch immer wieder zu den Naturthemen zurück. Was bewegt dich, so unterschiedliche Szenen festzuhalten?

Ralph: Ich habe eine Lust auf Organisches. Organische Formen sind am ehesten mit meinem Zeichenstrich vereinbar. Architektonische oder technische Motive liegen mir daher nicht so sehr. Beim Zeichnen im Atelier schaffe ich mir gerne ein kleines Refugium, in dem dann neben dem Zeichenblatt und dem Objekt der Zeichnung nichts anderes mehr Platz hat. Das kleine Stillleben sowie das genaue Studium organischer Formen und Oberflächen ist mir dabei das Liebste. Und dann hat die Betrachtung von Naturobjekten natürlich immer auch gleich die großen Themen der Kunstgeschichte, Vergänglichkeit und Sinnlichkeit mit im Rucksack.

Birnenquitte | 2013 | Ralph Bühr

Manuela: Was inspiriert dich, bzw. wie bilden sich deine Ideen für Werke aus? Wie entstehen deine Werke, wie gehst du an deine Kunst heran und mit welchen Materialien arbeitest du am liebsten?

Ralph: Im Laufe der Jahre hat man ja diverse Themenfelder beackert, zu denen man dann auch immer wieder zurückkommt. Ich greife auch gerne auf Motive zurück um sie neu zu kombinieren, in neue Zusammenhänge zu stellen oder ihnen mit einer anderen Technik auf den Leib zu rücken. Und dann gibt es immer wieder Perioden, in denen man eine Technik – meinetwegen die Tuschezeichnung – für sich weiterentwickelt, indem man kleine Neuerungen im Umgang mit dem Material probiert. Da spielt das Motiv dann gar nicht mehr die große Rolle. Auch das Papier ist mir sehr wichtig. Ich liebe die Arbeit auf alten Papieren, die schon einen Charakter mitbringen und ggf. die Arbeit in eine Richtung lenken.

The best map | 2020 | Ralph Bühr

Manuela: Zeichnungen, wie du sie fertigst wirken wie Slow Cooking nur auf künstlerischer Ebene. Deine Werke wirken wie der Zeit und der Schnelllebigkeit entrissen. Sie scheinen sorgfältig gefertigt, beobachtend, präzise und mit Zeit geschaffen. Welche künstlerische Epoche dient dir hier möglicherweise als Vorbild und/oder was hat dich bewegt genau so zu malen?

Ralph: Die schlichte Antwort ist, dass ich in dem Versuch zeichne ein Ergebnis zu erzielen, mit dem ich zufrieden bin. Das fertige Blatt soll mich glücklich machen. Und da ich im Grunde ein Kunstbanause bin und vielerlei Kunst wenig abgewinnen kann, führt mich diese Suche nach dem Glück auf einen engeren stilistischen Pfad.

Hekenhausvögel | 2020 | Ralph Bühr

Manuela: Nach intensiver Betrachtung deiner Werke ist auffallend, dass du dich mit Vergehen, dem Verwelken in der Natur, dem Altern usw. auseinandersetzt. Gerade diese Arbeiten sind es die mich persönlich jetzt besonders ansprechen. Was bewegt dich dabei hier die Schönheit des Alterns, des Reiferwerdens künstlerisch festzuhalten?

Ralph: Wie schon erwähnt bringt der Umgang mit „Naturobjekten“ den Aspekt der Vergänglichkeit unweigerlich mit sich. Vanitas ist das durchgängige Hauptthema der Kunstgeschichte. Es ist ja auch sehr interessant durch dieses Mittel eine Zeitkomponente in den Augenblick des Bildes zu integrieren, was wiederum einen erzählenden Aspekt hat, der die Bildidee bereichern kann. Nicht zuletzt ist das künstlerische Schaffen ja per se immer auch in Verdacht ein Versuch des Individuums zu sein, sich dem Unvermeidlichen entgegenzustemmen und in Anbetracht der eigenen Vergänglichkeit ein paar Spuren zu hinterlassen.

Bild links: Julia Marlowe | 2024 | Ralph Bühr Bild rechts: Mein Freitag | 2023 | Ralph Bühr

Manuela: Gibt es Techniken oder Materialien, mit denen du gerne experimentieren wollen würdest?

Ralph: Ich denke immer mal daran die Radierung (wieder) zu probieren, scheue jedoch ein wenig die Umstände, die damit einhergehen. Ich bin nicht besonders gut strukturiert was meinen Tagesablauf angeht und schätze es daher mich jederzeit spontan an eine Arbeit machen zu können und auch jederzeit wieder anderes zu tun. Das gelingt eigentlich nur wenn man den materiellen Aufwand gering hält.

Manuela: Wieviel Raum und Zeit nimmt Kunst in deinem Leben ein?

Ralph: Das ganze Leben ist ein großes Kunstwerk – rund um die Uhr – und findet keineswegs nur im Atelier statt. Das Zeichnen findet allerdings gemeinhin schubweise statt. Ich habe kein gutes Sitzfleisch und neige dazu abzuschweifen. Wenn es richtig schlecht läuft, dann entwickeln sich richtige Widerstände, die mich auch für längere Zeit vom Zeichentisch fernhalten. Ich bemühe mich die Augenblicke der Lust bestmöglich zu nutzen, da mir der damit einhergehende „Flow“ keineswegs selbstverständlich ist. Das Zeichnen ist mir daher kein „Wellnessprogramm“, sondern immer wieder auch ein Kampf, dem ich jedoch nicht aus dem Wege gehen mag.

De Oole Ewer | 2023 | Ralph Bühr

Manuela: Was macht dir bei deiner Arbeit am meisten Spaß?

Ralph: Es gibt so einen Moment im Verlauf einer jeden Arbeit, in dem man merkt – jetzt kann nichts mehr so richtig schiefgehen, jetzt hat die Sache ein solides Fundament und nimmt Fahrt auf. Da zerbröseln dann die letzten Zweifel und Widerstände und für ein, zwei Augenblicke ist dann das Glück da und der ganze mühselige Angang hat sich gelohnt. Keinesfalls bedeutet dies aber, dass man den Kahn nicht doch noch gründlich in den Sand fahren könnte, (was oft genug vorkommt!) aber die Zuversicht ist dann da und lässt mich freudigst in allerlei Schraffuren meditieren und den Flow genießen.

Manuela: Was war Deine schönste Reaktion auf Deine Kunst, die Du bekommen hast?

Ralph: Das schönste im Umgang mit meinen Zeichnungen ist, wenn Andere sich dadurch inspirieren lassen, wenn es durch Antizipation und kreative Betrachtung zu neuen Aspekten kommt, die ich dann wieder sinnvoll in meine Arbeit einbeziehen kann. Auf eine solche Weise des Wechselspiels entstehen manchmal die erbaulichsten Projekte.

Flying Dutchman | 2021 | Ralph Bühr

Manuela: Welche Ausstellungen und künstlerische Projekte haben dich in deinem Werdegang besonders geprägt?

Ralph: Vor einigen Jahren hatte ich anläßlich meines „Orland“-Projektes eine Ausstellung in der Wassermühle Karoxbostel gemacht, die mir besonders viel Vergnügen bereitet hat. In dem Mühlengebäude herrschte eine wunderbare spätsommerliche Septemberstimmung und das „Orland“ Buch, das schon bei seiner Entstehung reichlich Freude gemacht hatte, gab allerlei Anlass für erbauliche Gespräche mit den Ausstellungsbesuchern. Auch die Ausstellungen im Elysee Hotel sind immer wieder ein Fest und durch ihre thematischen Vorgaben eine willkommene Inspiration, die einen zwingt, ab und an die ausgetretenen Pfade des eigenen Schaffens zu verlassen.

Manuela: Eine Frage, die Dich gerade bewegt

Ralph: Zurzeit frage ich mich – nicht zuletzt aufgrund des unsäglichen Aufschwungs des Rechtspopulismus in der westlichen Welt – wie politisch bzw. unpolitisch das Kunstschaffen dieser Tage sein darf oder sollte. Nach Brecht: Was sind das für Zeiten, wo ein Gespräch über Bäume fast ein Verbrechen ist. Weil es ein Schweigen über so viele Untaten einschließt!…

Manuela: Was ist Kunst für dich? In 3 Worten!

Ralph: (Eine) bestenfalls begründete Behauptung.

Manuela: Woran arbeitest du im Augenblick?

Ralph: Nachdem ich für die letzte Ausstellung in der Galerie im Elysee thematisch gebunden „Bilder der Musik“ gemacht habe, genieße ich es erstmal wieder frei zeichnen zu können. Während „Projekte“ meist von Außen angestoßen werden, lasse ich mich üblicherweise vor allem von meiner eigenen Arbeit inspirieren, indem ich einzelne Aspekte, technischer oder inhaltlicher Art, aufgreife und neu zu interpretieren suche. So entstehen häufig kleine Serien mit unterschiedlichen Sujets, an denen ich mich ausprobiere bis sie auf die ein oder andere Art ausgereizt zu sein scheinen.

Junge Frau mit Geige | 2024 | Ralph Bühr

Manuela: Welches war dein bislang schönstes Projekt?

Ralph: Neben dem schon erwähnten „Orland“- Buch hatte ich große Freude an einem weiteren ähnlich kleinformatigen Kunstprojekt, bei dem es um die Fertigung einer „Taschengalerie“ ging. Beide Projekte waren von einem Bekannten maßgeblich angestoßen und unterstützt worden. Bei der Taschengallerie handelt es sich um eine Anzahl kleinster Arbeiten, die z.B. Platz in einer Zigaretten- oder Pillendose finden und so in der Jackentasche mitgetragen werden können. Originalkunst für unterwegs. Die Herausforderung war jeweils auf den sehr kleinen Papieren zu arbeiten und sich entsprechend sparsam aber punktgenau auszudrücken.

Manuela: Deine nächsten Projekte, Ausstellungen. Wo kann man dich in diesem Jahr noch sehen?

Ralph: In diesem Jahr werde ich nach der Ausstellung im Elysee die bis zum 28. April noch zu sehen ist, auch beim Kunstfest in Garlstorf am ersten Septemberwochenende vertreten sein. Im Netz findet man mich bei Instagram unter ralph_buehr_art.

4 Comments

  1. Für mich sind diese Beispiele von Ralph Zeichenkunst schon deswegen interessant, weil ich sie visuell gut wahrnehmen kann. Das ist ja für einen Menschen mit Sehbehinderung nicht so einfach. Aber diese klare Linie und diese Detailgenauigkeit machen es mir möglich. Außerdem sprechen nicht die Themen an. Die Frau mit Geige finde ich besonders aussagekräftig.

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