Willkommen liebe Gisela, ich freue mich, dass du an meinem Artist Talk teilnimmst und mir und den Leser:innen einige Fragen zu deiner Kunst beantwortest.
Manuela: Wie kamst Du zur Kunst (zu deiner eigenen Kunst)? Gab es ein besonderes Ereignis, das den Ausschlag dafür gegeben hat, um die künstlerische Laufbahn einzuschlagen?
Gisela: Schon als Kind habe ich gern und viel gezeichnet und gemalt. Als es dann um die Berufswahl ging, bin ich zur Berufsberatung des Arbeitsamts gegangen mit dem großen Wunsch: ich möchte malen und zeichnen. Angeboten wurde mir eine Ausbildung zur Kartografin, also habe ich genaues Zeichnen von Landkarten und Stadtplänen gelernt. Das entsprach überhaupt nicht meinem Wunsch und so entschied ich mich nach der 3-jährigen Ausbildung zum Studium Illustration/Kommunikationsdesign.
Manuela: Nach deinem Studium zur Illustration / Kommunikationsdesignerin hast du eine lebendige Vita erarbeitet. Seit vielen Jahren schon bist du tätig als Künstlerin, deine Skulpturen, meist aus Stein findet man auch im öffentlichen Raum u.a. in der freien Natur. Was ist dein Antrieb für deine Kunst?
Gisela: Im Kunstgeschichtsunterricht wurde immer wieder von dem besonderen Licht der Provence berichtet. Ich war begeistert von Paul Cezanne und seiner Malerei vom Mont Sainte-Victoire. Nicht die genaue Abbildung der Natur interessierte ihn. Er zerlegte das, was er sah, in geometrische Formen, in Zylinder, Kuben, Kreise, Rechtecke. Die starke Farbigkeit und der Hell-Dunkel-Kontrast spielten eine große Rolle. So beschloss ich nach dem Studium Geld zu sparen und ein halbes Jahr nach Südfrankreich zu gehen, um für mich zu überprüfen: Stimmt das mit dem besonderen Licht?
Wandernd und malend habe ich die südfranzösische Landschaft durchstreift, fasziniert von dem Zauber des Lichts. Doch es blieb nicht beim Malen, überall bin ich auf den örtlichen Sandstein gestoßen, habe Künstler kennen gelernt, die mit diesem Material gearbeitet haben, habe Ausstellungen angeguckt. Im Nachhinein würde ich sagen: Die Steine haben mich ausgesucht! So begann ich noch vor Ort mit der Bearbeitung der ersten Sandsteine – meine Steinleidenschaft war geboren und hat mich bis heute nicht verlassen.
Zurück in Hamburg experimentierte und forschte ich mit verschiedenen Steinsorten und Steinhärten – mit Alabaster, Kalkstein, Marmor, Serpentine, Gabro, Larvikit, Granit… Ein spannender Weg begann, die Skulpturen wurden größer, ich nahm an Bildhauer-Symposien in Obernkirchen, Saarbrücken, Norditalien teil. Skulpturen – auch für den öffentlichen Raum – wurden angekauft.
Manuela: Du hast einen Katalog dazu herausgegeben?
Gisela: Der Katalog „Skulpturen im Außen – 2000 bis 2019“ gibt einen Überblick der bildhauerischen Arbeit. Abgebildet sind die großen Skulpturen, die für den öffentlichen oder privaten Raum gearbeitet und angekauft wurden. Die jeweilige Standortangabe gibt die Möglichkeit, die Skulpturen vor Ort zu besichtigen.
Manuela: Hast Du künstlerische Vorbilder? Wenn ja, wen/welche?
Henry Moore – seine organischen Formen, Barbara Hepworth – ihre Durchbrüche und Löcher, Morice Lipsi – seine lebendigen Kanten, Manfred Sihle-Wissel – seine geschichteten kantigen Formen, um ein paar zu nennen.
Manuela: Wieviel Zeit widmest Du der Kunst in Deinem Leben?
Gisela: Da ich als selbstständige Künstlerin im eigenen Atelier arbeite, bin ich eigentlich immer innerlich mit der Kunst beschäftigt. Meine Augen und Hände sammeln Formen, im Skizzenbuch entstehen schnelle Zeichnungen zu Form. Beim Vorbereiten von Bildhauer-Kursen mache ich mir Gedanken, wie vermittle ich Form, welche Abbildungen der Kunstgeschichte zeige ich zur Inspiration.
Manuela: Wie entstehen deine Werke und wie gehst du an sie heran? Berichte doch ein wenig.
Gisela: Manchmal lasse ich mich von der Bruchform des Stein anregen, gehe in einen Dialog – mit einer vagen Idee im Kopf – und lasse die Form entstehen im direkten Arbeitsprozess im Stein.
Der andere Weg geht über die Formung vieler kleiner Tonmodelle. In Variationen wird die Idee spielerisch konkretisiert. Falls bekannt, wird der spätere Standort in die Planung mit einbezogen.
So gibt es Kisten voller kleiner Tonmodelle – Ideen, die noch auf ihre Realisation warten.
Aber auch wenn es ein Arbeitsmodell in Ton gibt , ist die Arbeit im Stein, das Meißeln, ein lebendiger Vorgang, sind Veränderungen möglich. Es ist ein spannender Prozess des langsamen Abtragens. Bearbeitungsspuren bleiben sichtbar, teilweise wird die Oberfläche geschliffen, teilweise poliert.
Manuela: Welche Themen verfolgst Du in Deiner Kunst?
Gisela: Immer wieder tauchen archaische Frauengestalten auf, Kraftwesen, Meerweiber. Abstrakte Formen interessieren mich, Öffnungen, Durchblicke, Formen des Fließens, Strömens, von Wasserbewegungen inspiriert. Mit großem Interesse erforsche ich Zwischenzustände – etwas ist zu Ende, vergangen, abgeschlossen, das Neue noch nicht sichtbar, nur erahnbar – ein kreativer lebendiger Zwischenraum.
Manuela: Hast Du ein Anliegen das Du mit Deiner Kunst verfolgst?
Gisela: Es gibt sehr viel Negatives in der Welt, davor verschließe ich nicht meine Augen. Aber in meiner Kunst möchte ich die positive Seite stärken, etwas Aufbauendes der Welt zurück geben. Manchmal entstehen zu den Skulpturen auch Texte. Ein Beispiel ist:
>Flamme der Heilung<
Gisela Milse
Licht + Schatten
die weiße Flamme
wirbelnd
aufsteigende Energie
im Vertrauen sich öffnen
auch wenn ich es nicht verstehe
verbunden sein
sich verbunden fühlen
dem Unfassbaren
dem Nicht-Erklärbaren
sich durchströmen lassen
sich verwandeln
transformieren.
Manuela: Was inspiriert dich, bzw. wie bilden sich deine Ideen für Werke aus?
Gisela: Inspiration finde ich immer wieder in der Natur und durch Meditation. „Alles fließt, ist in Bewegung, bedingt und beeinflusst sich gegenseitig; nichts geht verloren“. Dieser Satz ist Grundlage für den Arbeitsprozess. Durch Reflexion von Gesehenem, Erlebten, Erdachtem, Erträumten entstehen neue Ideen. Aber wer kann schon sagen, woher die Ideen kommen?
Manuela: Was war Deine schönste Reaktion auf Deine Kunst, die Du bekommen hast?
Gisela: Meine erste Ausstellung mit 2 Kolleginnen fand ich der Gedok, einer Vereinigung von Künstlerinnen, in Hamburg statt. Eine ca. 40 cm große Skulptur eines Mädchens, abstrakt gearbeitet mit einem feinen Lächeln stand am Eingang. Eine junge Frau betrat die Galerie und blieb wie gebannt stehen. Schlagartig hatte sie sich in diese Skulptur verliebt. Sie erzählte mir, dass sie 1 Jahr lang für eine Stereoanlage gespart hatte, es war genau der Preis der Skulptur! Sie meinte, Stereoanlagen gibt es viele, diese Skulptur aber ist einmalig. Sie kaufte sie und stellte sie neben ihr Bett. Noch heute bekomme ich ab und an eine Postkarte von ihr – wie schön!
Manuela: Gibt es ein Kunstwerk in deinem Leben, das dich besonders beeindruckt hat?
Gisela: Vor vielen Jahren war ich 10 Tage lang allein in England unterwegs auf den Spuren von Henry Moore. Auf dem Gelände seiner Werkstätten stand eine 5 m große dreiteilige Skulptur aus glänzender Bronze. Ich durfte in sie eintreten und sie mit meinem gesamten Körper erfahren. Ein unvergessliches Erlebnis!
Manuela: Was tust du, wenn du Inspiration für deine Werke brauchst und gerade nicht weiterkommst?
Gisela: Ich suche das Wasser, gehe schwimmen, tanze, laufe in der Natur umher, meditiere. Gucke mir Ausstellungen an. Spiele absichtslos mit Ton herum.
Manuela: Du malst auch und hast eine Werkreihe, die sich „Little Boxes“ nennt. Berichte doch bitte, welchen Stellenwert diese beiden künstlerischen Bereiche bei dir haben und worum es in diesen Arbeiten geht.
Gisela: Es war der erste Lockdown während der Corona-Krise, keiner wusste, wie sich diese Pandemie weiter entwickeln würde, alle sollten möglichst zuhause bleiben, einige meiner Künstlerkolleg*innen fielen ich eine Schaffenskrise. Ich wollte mich von diesen negativen Gefühlen nicht anstecken lassen, konnte in die Werkstatt gehen. Aus Gesteinsmehlen, Asche, Kohle, Kaffeesatz, Pigmenten entstanden in einem spannenden experimentellen Prozess Bilder – schrundige Oberflächen, rau, hinein gekratzte Linien. Spindelartige abstrakte Formen begegnen sich, kriechen aufeinander zu, nehmen Kontakt auf, lassen sich Freiräume. Wie viel Nähe kann zugelassen werden? Wann entsteht ein Schwarmverhalten? Oder bleibt lieber jede Form für sich? Das Thema „Begegnungen“ tauchte überall auf, in einer Zeit, wo Begegnung vermieden werden sollte.
Im 2. Lockdown musste ich dem allgemeinen Chaos etwas Spielerisches entgegensetzen. Aus Gefundenem, Gesammelten, Gemachten, Geträumten entstanden kleine verspielte Bühnen „Little boxes“. Lauter Schätze fanden ihren neuen kreativen Platz. Teilweise angeregt durch Gedichte von Rose Ausländer, Hilde Domin und Erich Fried. Ernsthaftes trifft auf Humorvolles.
Manuela: Eine Frage, die Dich gerade bewegt
Gisela: Wie kann ich angesichts der globalen Krisen, der kriegerischen Auseinandersetzungen, der Klimakrise, der Not weiterhin Herz und Geist auf Heilsames ausrichten, ohne die Gewalt, das Leid und den Schmerz zu verdrängen?
Manuela: Was hat dich zuletzt inspiriert?
Gisela: Im vergangenem Jahr hatte ich die Möglichkeit, Steinskulpturen von Morice Lipsi in der Schweiz zu erleben. Seine Tochter verwaltet die Arbeiten ihres Vaters, möchte eine Stiftung gründen und sucht nach Sponsoren, um einen Skulpturenpark anzulegen. Es war keine offizielle Ausstellung, ich wurde durch viele Kellerräume geführt, in denen dicht gedrängt diese beeindruckenden großen Skulpturen gelagert wurden. Innerlich völlig aufgewühlt und begeistert konnte ich sie stundenlang studieren. Ein großes Glück!
Manuela: Was ist Kunst für dich? In 3 Worten!
Gisela: Herzensangelegenheit, Abenteuer, Lebensgrundlage
Manuela: Woran arbeitest du im Augenblick?
Gisela: Im Moment beschäftige ich mich sehr mit Ausdruckstanz. Zusammen mit 8 Frauen entwickeln wir gemeinsam ein Tanz-Collage-Performance-Stück. Ich erlebe mich und meinen Körper auf ganz neue Weise. Nun suche ich nach abstrakten Formen der Umsetzung in Stein. Darauf bin ich sehr gespannt.
Manuela: Von welchem Projekt „träumst“ du?
Gisela: Ich träume von einer Ausstellung „Skulpturen im Dunkeln“. Sich an einem Seil tastend durch einen dunklen Raum bewegen und immer wieder auf eine Skulptur stoßen. Unser Hauptsinnesorgan – die Augen – hat Pause, nur die Hände erspüren die Form. Das ermöglicht einen neuen Zugang zur Form.
Manuela: Wo kann man dich in diesem Jahr finden (auf welchen Ausstellungen/ Messen/ Kunsttagen….)
Gisela: Jederzeit ist ein Besuch im Atelier möglich nach telefonischer Anmeldung. –
Am 7.6.+8.6.24 beteilige ich mich bei dem Projekt „48Std Kunst“. 35 Künstler*innen aus dem Landkreis Lüneburg öffnen ihre Ateliers und Gärten, laden ein zum Entdecken.
Manuela: Wo bist du online zu finden?
www.gisela-milse.de
Alle Fotos wurden freundlicherweise von der Künstlerin Gisela Milse gestellt.